Donnerstag, 5. Mai 2016

Beitrag zur Geschichte der Stadt Diessenhofen (2) *** Bombardierung der Rhein-Brücke bei Diessenhofen 1944



Bombardierung der Rhein-Brücke bei Diessenhofen im Jahre 1944


Einige Schweizer Städte wurden im Zweiten Weltkrieg irrtümlicherweise von den Alliierten bombardiert: Zürich und Basel gleich mehrfach, am schlimmsten traf es aber Diessenhofens Nachbarstädte Schaffhausen am 1. April 1944 (40 Tote) und Stein am Rhein am 22. Februar 1945 (11 Tote). Wie der in Diessenhofen aufbewahrte Bombensplitter beweist, war aber auch Diessenhofen vom Krieg betroffen, der buchstäblich nur wenige Meter vor der Haustür tobte.


Bombensplitter, Stahl, mit weisser Farbe beschriftet, 24 x 10 cm
(Privatsammlung, Diessenhofen)

In einem umfangreichen Manuskript hat Heinrich Waldvogel, Stadtschreiber von Diessenhofen, 1954 die Ereignisse handschriftlich aufgeschrieben und mit Photographien illustriert:

Heinrich Waldvogel: Kleine Chronik des Zweiten Weltkrieges von Diessenhofen aus gesehen. Album, Halbledereinband, 30 x 25 cm, 19 Seiten Manuskript, [20] Blatt mit [20] Original-Photographien. Diessenhofen, 16. Februar 1954. Archiv der Stadtgemeinde Diessenhofen.

Die nachfolgenden Texte, Bildlegenden und Photographien sind diesem Manuskript entnommen. Einzig die Photographien mit den in Diessenhofen notgelandeten amerikanischen Bombern und natürlich der Wochenschau-Beitrag stammen aus anderen Quellen.

2. September 1939: Generalmobilmachung. Diessenhofen hatte ca. 200 Mann zu stellen.

Pfingsten 1940: Die militärische Lage ist sehr angespannt. Die Grenze ist total abgeschlossen und an Unfreundlichkeiten der vom Hitlerwahn erfassten Gailinger Bevölkerung fehlt es nicht. In diesen Tagen spricht man ernst davon, dass Hitler beabsichtige, mit einer Armee in die Schweiz einzudringen. [...] In der Samstagnacht vor Pfingsten ist Alarm. Stündlich erwartet man eine Aktion von Deutscher Seite. Die Nacht vergeht aber ruhig.

20. August 1940: Scheinbar verirrte oder falsch orientierte englische Militärflugzeuge werfen in der Nacht einige Bomben gegen die Bahnlinie Diessenhofen – Schlattingen; ohne zu treffen fielen die Bomben in benachbarte Felder und Wiesen. Die Aufregung im Städtchen war gross, ging aber bald vorüber.

17. April 1942: Fremde Bombergeschwader überfliegen täglich unsere Gegend; heute von 18.30 bis 19.30 Uhr in ununterbrochener Folge. Sirenengeheul aus Singen, Gottmadingen und Gailingen.

24. Mai 1943: Oberst Emil Egg, Kommandant des Grenzschutzregimentes 51, wird auf einem Kontrollgang im «Schaaren» von einem Wachposten, auf dessen Halt-Ruf er nicht reagierte, erschossen.

16. März 1944, 14.20 Uhr: Von Nordosten herkommend [erscheint] ein viermotoriger Bomber, treibt führerlos und stürzt in der Nähe des Kundelfingerhofes mit Expolosion ab. Die Trümmer der amerikanischen Maschine liegen über 1 km² zerstreut.

[18.] März 1944, ca. 16.00 Uhr: Im Ratihart [landet] ein amerikanischer Bomber mit 5 Mann Besatzung, davon ein Mann verwundet; bevor unser Militär die Maschine beschlagnahmen kann, wird sie von den Amerikanern angezündet und verbrennt vollständig, wobei eine Menge Munition explodiert. Die Maschine kam von einem Tagesangriff auf Friedichshafen. Bei Ihrem Rückflug kam sie bei Belfort in starkes Sperrfeuer und musste umkehren. 5 Mann der [10-köpfigen] Besatzung waren vor der Notlandung, offenbar noch über deutschem Boden, mit Fallschirm[en] abgesprungen.

Das Ratihart im Westen von Diessenhofen ist ein riesiges Feld von etwa 1300 Meter Länge. Links wird es begrenzt durch die Bahnlinie von Diessenhofen nach Schlatt, rechts durch den Rhein. Das Feld  ist völlig ohne Hindernisse, wie Häuser oder Bäume, also bestens für eine Notlandung geeignet. Der Kreis markiert etwa die Stelle, wo das Wrack des notgelandeten Bombers am 18. März 1944 lag.
(Photo 2012)

Hans Griebel: Zerstörter viermotoriger Bomber «B-24 Liberator» im Ratihart. Hier handelt es sich um die am 18. März 1944 notgelandete Maschine mit ursprünglich 10 Mann Besatzung. Links ist der Schaarenwald und rechts das Dörflinger Ufer erkennbar. Das Haus über dem Wrack ist das Restaurant «Waldheim» am anderen Ufer des Rheins. Es ist bekannt dafür, dass die schweizerisch-deutsche Grenze zwischen Dörflingen und der deutschen Enklave Büsingen exakt durch den Garten des Restaurants verläuft. (Glasdiapositiv aus der Sammlung Osric Boland, Neuhausen [1])

Das ist die heutige Situation, ungefähr von der Stelle aus photographiert,
wo 1944 das Wrack der «Liberator» lag. 
Auch hier ist das Restaurant «Waldheim» durch die Bäume hindurch erkennbar. 
(Photo 2012)

Das Doppelseitenleitwerk und der Rumpf der «B-24 Liberator» haben tiefe Schleifspuren hinterlassen, im Hintergrund ist der Schaarenwald erkennbar, links verläuft die Bahnlinie von Diessenhofen nach Schlatt. (Copyprint 10 x 14 cm aus dem Archiv der Stadtgemeine Diessenhofen)

Das ist wiederum die Situation heute, ungefähr von der Stelle aus photographiert, 
wo 1944 das Wrack der «Liberator» lag. (Photo 2012)

Ein andere Ansicht des Bombers mit den beiden rechten Triebwerken. Blick nach Nordosten, im Hintergrund rechts ist das Gailinger Ufer erkennbar.
(Copyprint 10 x 14 cm aus dem Archiv der Stadtgemeine Diessenhofen)

Ein Schweizer Soldat vor dem rechten Seitenleitwerk der «B-24 Liberator».
(Copyprint 10 x 14 cm aus dem Archiv der Stadtgemeine Diessenhofen)

Im Internet findet man weitere Informationen zur notgelandeten «B-24 Liberator», die von der Besatzung den Übernamen «Late Date II» bekommen hatte. Stehend von links: Kenneth C. Parks (Navigator), Samuel B. Poppel (Bombenschütze), George T. Haffermehl (Pilot), Donald H. McMullen (Kopilot). Vorne von links: Michael G. Harwick, (Bordschütze), Frederick J. Wagner (Bordschütze), Earl S. Parker (Bordingenieur), Jewell M. Mitchell (Bordschütze), Louis H. Landry (Bordschütze) und Leon J. Beausoleil (Funker). Der Pilot, George T. Haffermehl, war offenbar in Panik geraten und bereits über Deutschland mit 4 Mann durch den Bombenschacht abgesprungen. Der Kopilot, Donald H. MacMullen, landete die Maschine mit weiteren 4 Mann sicher in Diessenhofen. Der schwer verletzte Bombenschütze, Samuel B. Poppel, war noch in der Luft durch explodierende Munition verletzt worden. (Quelle: Air Force – Together We Served)

1. April 1944: Kurz nach 11 Uhr vormittags erscheint über unserer Gegend eine amerikanische Fliegerstaffel; wie Silbervögel glänzen die Maschinen am blauen Himmel. Fliegeralarm ringsum. Die Staffel verschwindet, kehrt aber wieder zurück. Plötzlich werden kleine Rauchsignale von einigen Maschinen gegeben und es fallen von Schlatt bis zur S.B.B.-Station und von hier der Bahnlinie entlang bis Feuerthalen unübersehbar Brand- und Sprengbomben. 

Der Lagerschuppen der Station Schlatt wird getroffen und geht in Flammen auf. Sonst entsteht bei uns nur Flurschaden. Feuerthalen erhält eine Reihe Treffer von Brandbomben, die Brände und schwere Schäden verursachen. Schaffhausen aber wird fürchterlich getroffen. [...] 40 Menschenleben fielen dem Irrtum dieses amerikanischen Staffelführers zum Opfer.


17. Juni 1944: Beim Brückenbewachungsdetachement Hemishofen ereignet sich ein schweres Explosionsunglück. Im sog[enannten] «Tschungel» auf der linken Seite des Rheins explodiert beim Transport eine ganze Reihe von sog[enannten] Tellerminen. Zehn Soldaten werden getötet. Niemand weiss, was Schuld an diesem schweren Unglück war, denn keiner von jenen, die dabei waren, hat das Unglück überlebt.

24. August 1944: Einweihung des neu renovierten Siegelturmes. Imbiss und Trunk im Rathaus.

9. November 1944: Bei hellem Wetter erscheinen vormittags gegen 11 Uhr über Diessenhofen amerikanische Flugzeuge, die hier kreisen und wieder verschwinden. Kurz nachher erscheinen diesselben Flugzeuge wieder über dem Städtchen, Rauchfahnen erscheinen an den Flugzeugen und sofort fallen eine Reihe von Bomben auf den nördlichen Brückenkopf und in den Rhein. 

Der Brückenkopf ist zerstört, die Brücke dort hängt, aus dem Widerlager gerissen, gegen den Rhein, der Gasthof «zum Schiff» ist so gut wie verschwunden. Die Detonation war gewaltig; verletzt wurde jedoch wunderbarerweise niemand. Durch den Druck und durch den Sog der Explosion und durch bis mitten ins Städtchen geschleuderte Steine und Splitter entstand in Diessenhofen bedeutender Schaden. Vor allem die Häuser am Rhein wurden bös mitgenommen und mussten restauriert werden. 

Die Strassen der Nordhälfte des Städtchens waren mit allen möglichen Splittern übersät. Fast alle Fensterscheiben gingen in Brüche; in den Häusern entstanden Risse, Dächer wurden abgedeckt und teilweise zerschlagen. Vom damaligen Zustand in Diessenhofen geben die in diesem Buch untergebrachten Photos ein deutliches Bild. Der Schrecken im Städtchen war gross, aber man verlor den Kopf nicht. Das hier stationierte Militär und die Feuerwehr griffen sofort ein und sorgten für Hilfe und Sicherung. 

Alle Schäden, die den Totalbetrag von Fr. 200'000.– erreichten, wurden durch die kantonale Brandversicherungsanstalt als nicht versicherbare Elementarschäden vergütet. Die U.S.A., deren Flieger das Unheil angerichtet hatten, beteiligten sich an der Schadendeckung nicht, wenigstens nicht direkt, weil es sich bei den Schäden in Diessenhofen um Fernwirkung handelte. Alle Bomben fielen auf deutschem Gebiet.


Rheinfront unterhalb der Rheinbrücke

Häuserpartie oberhalb der Rheinbrücke


Blick vom linken Brückenkopf gegen die Rheinhaldenstrasse

An der Rheinhaldenstrasse

Das sog[enannte] Toggenburgerhaus von Westen

Fabrikfassade am Rhein (östlich Toggenburgerhaus)

Die Nordfassade des Rathauses

Blick auf den nördlichen Brückenkopf von Südosten

Blick auf den nördlichen Brückenkopf von Südwesten

Brückendach und nördlicher Brückenkopf von Süden

Das Innere der nördlichen Brückenhälfte

Der nördliche Brückenausgang mit Blick auf den zerstörten
Gasthof «zum Schiff»

Die Ruine des Gasthofes «zum Schiff»

Bombenkrater am nördlichen Rheinufer östlich des Brückenkopfes

Abfertigungsraum im schweizerischen Zollgebäude

Terasse des Hauses No. 41 (Polizeiposten); Einschlag eines schweren Steines, der vom jenseitigen Rheinufer hierher geworfen wurde, d.h. bis zur Obertorgasse

Innenraum des Polizeipostens, in den der Stein fiel

Der Stein im Polizeipostengebäude

25. Dezember 1944: Starke Fliegertätigkeit am Nachmittag, als ich eben mit Frau und Sohn auf dem Weg nach Basadingen war, erschienen Fliegerstaffeln, kurz darauf, 14.08 Uhr, erfolgte eine gewaltige Detonation und in der Richtung Tayngen stieg ein gewaltiger Explosionspilz  zum Himmel: 18 Sprengbomben wurden in ein Fabrikgebiet in Tayngen geworfen, die böse Zerstörungen anrichteten und ein Menschenleben forderten.

22. Februar 1945, ca. 12.00 Uhr: Stein am Rhein [wird] von einem amerikanischen Bomber bombardiert. Es entstehen schwere Schäden, viele Häuserquartiere werden vernichtet und 11 Menschen werden getötet.

24. April 1945: An den Häusern von Gailingen, auch am Zoll bei der Rheinbrücke, werden von den Deutschen weisse Tücher als Zeichen der Aufgabe des Widerstandes ausgehängt.

28. April 1945, ca. 13.00 Uhr: Eine kleine frazösische Panzerwagenkolonne, ca. 30 Mann, hält am deutschen Brückenkopf Gailingen. Kurze Begrüssung zwischen schweizerischen und französischen Offizieren und Soldaten. Abfahrt der Kolonne nach ca. 20 Minuten.

12. Mai 1945: Gailingen wird von den Franzosen besetzt. Waffenstillstand – aber noch nicht Friede
.




Weitere Bilder (Bilder aus dem Archiv des "Anzeiger am Rhein" 1944)




Diese Aufnahme zeigt übrigens das Modell für den Wiederaufbau der zerstörten Brücke






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